Der Schriftsteller Johannes Mario Simmel (1924-2009) am 28.1.1980, Sun Tower, Monte-Carlo, Monaco: „Ich habe Ihr Buch mit grösster Aufmerksamkeit und mit grosser Bewegtheit gelesen. Es hat mich tief beeindruckt, gerade weil es nicht auf dem Schema „Vater=Nazi=böse, Ich=kein Nazi=also gut“ beruht. Bücher dieses Schemas gibt es zu Hunderten, und wir beide wissen, dass sie nichts bewirkt haben. Ihr Buch ist das erste dieser Art, von der ich eine Wirkung erhoffe (und erwarte) und dem ich weiteste Verbreitung wünsche. Es scheint, dass endlich, nach überlanger Weile, eine neue Generation herangewachsen ist, die dem Nazismus gegenüber absolut integer und dazu aktiv-wirkend tätig geworden ist. (...) Mich bewegt noch etwas anderes sehr: Eben zu der Zeit, da Ihr Buch hier eintraf, erreichten mich - mit 34jähriger Verspätung! - aus England Briefe, Aufzeichnungen und Tagebücher meines Vaters. Der nun war kein Nazi, sondern, wie sein Vater, und wie ich es bin, Sozialdemokrat. (Wir brauchen kein Wort darüber zu verlieren, dass der Vater und der Grossvater für eine andere SPD kämpften als ich es tue, mein Großvater war noch ein Freund Bebels. Immerhin bin ich immer noch ein Freund von Alex Möller.) Als die Nazis kamen, musste mein Vater fort, denn sein Name stand auf den Listen mit der Aufschrift SOFORT ZU LIQUIDIEREN... Er ist, knapp vor Kriegsende, in England, wo ich meine Kindheit mit ihm verbracht habe, gestorben. War es schon unheimlich, diese vergilbten Blätter nun in die Hand zu bekommen (darunter Briefe von mir als kleinem Jungen, die meinen Vater via Lissabon noch während des Krieges erreichten), so wurde alles plötzlich absolut gespestisch und überwirklich, als ich, sozusagen synchron, Ihr Buch über Ihren Vater las! Seitdem trage ich mich mit der Absicht - auf eine ganz andere Art natürlich -, ein Buch Ihrer Art zu schreiben, i. e. die wirklichen Wurzeln einer Vater-Sohn-Beziehung klarzumachen. (Wobei ich meinem Vater nichts zu verzeihen oder nicht zu verzeihen habe, worauf es - wie mir nach der Lektüre Ihres Buches klar geworden ist - in der Tat weniger ankommt als auf die in beiden (und allen) Fällen immer vorhandene Bindung.) Ihre Konstruktion, welche alles in den Verlauf von drei Tagen einbettet, ist Ihnen hervorragend gelungen. Von Ihrer aufrechten und - verzeihen Sie das harte Wort! - edlen Gesinnung zeugt, dass Sie sich mit Ihrem Vater nach dessen Tod auseinandersetzen. Noch einmal danke ich Ihnen für dieses vorzügliche Werk.“
Der deutsch-britische Lyriker Michael Hamburger (1924 - 2007) am 19.7.1987: „Herzlichen Dank für Ihre sehr spannende und überzeugende Darstellung Ihres Vaters, die ich gleich nach Empfang - in einer seltenen Arbeitspause - gelesen habe. Mit solchen Widersprüchen beschäftige ich mich schon lange - auch mit dem seltsamen Missverhältnis zwischen Persönlichkeit und Ideologie. (Es gibt kulturelle Krankheiten, die jenseits der Ethik und individuellen Psychologie liegen.) Da die Arbeitspause vorbei ist, kann ich leider nicht mehr dazu sagen, werde aber noch lange über Ihren Bericht nachdenken.“
Rezensionen in deutschen Medien (Auswahl):
Günter Krall: Vergangenheitsbewältigung zwischen Liebe und Entsetzen. In: Die Rheinpfalz 15. 9. 1979.
Lothar Schöne: Ahnung vom Innenleben des Vaters. In: Allgemeine Zeitung 30. 9. 1979.
Elisabeth Bauschmid: Der Vater war Nazi. In: Süddeutsche Zeitung 7. 11. 1979.
Ludwig Fels: Das war das Ende eines Ariers. In: Fischer Almanach der Literaturkritik, Fischer Taschenbuch Bd. 6452, Frankfurt am Main 1980, S. 75 f.: "Das Buch Vaterspuren ist ein unerbittlicher Forschungsbericht, der die misslungenen Taten eines nahestehenden Menschen aufrollt. Vorgeführt wird ein familiärer Tyrann, verdorben von Zucht und Ordnung, eine asketisierende Marionette, die zeitlebens in den Fäden der Unvergangenheit verstrickt blieb. Der Sohn tritt aus dem Schatten des Vaters, er weint, das ist sein schmerzhaftes Recht, er erkennt, dass er einen verirrten Lebenslauf betrauert, am Ende einen ,unwürdigen Greis‘, aber darin liegt auch der Anfang seiner befreiten Existenz in einer unschuldigeren Generation; die Kritik seines Gewissens ist beispielhaft für die subjektive Aufarbeitung einer vertanen, verdrängten Geschichtsepoche. Weder verurteilt der Sohn den Vater noch verteidigt er ihn, er enthüllt Verpfuschtes, auch bei sich, und gerade dieser Umstand verleiht der Erzählung einen Hauch verzweifelter Aufrichtigkeit. Mit Vaterspuren hat Sigfrid Gauch empfindsam einen Konflikt protokolliert, eine sparsam poetische Prosa-Akte geschrieben, durch die der Leser erfährt, wenn er es nicht schon aus eigenem Erleben und Nachdenken weiß, dass selbst das Ableben dieser törichten Machtgewinnler für diese Gesellschaft die Problematik einer Wiederholung nicht garantiert."
Jens Frederiksen: Schatten abwerfen? In: Rheinische Post 24. 11. 1979.
Wolfgang Minaty: Fragen an die Väter. In: Neue Zürcher Zeitung 13. 12. 1979.
Gert Heidenreich: Vaterspuren. In: Die Zeit 7. 12. 1979.
Adolf Fink: Briefe an den Vater. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 5. 2. 1980.
Anton Mantler: Ein Vater mit Vergangenheit. In: Kurier (Wien) 19. 1. 1980.
Armin Ayren: Ein Sturz vom hohen Sockel. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 9. 2. 1980.
Heinz Mudrich: Traurige Aufrechnung einer Vaterschuld. In: Saarbrücker Zeitung 2. 2. 1980.
Reinhold Grimm: Schizophrenie und Faschismus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 3. 3. 1980.
Urs Bugmann: Die toten Väter mit der Seele suchend. In: Luzerner Neueste Nachrichten 26. 4. 1980.
Horst Schüler: Abrechnung mit einem Vater. In: Hamburger Abendblatt 30. 5. 1980.
Michael Schneider: Söhne und Väter. Über das beschädigte Verhältnis zweier Generationen. In: Lesezeichen. Zeitschrift für neue Literatur. H. 1 / 1980.
Heinrich Vormweg: Eine sanfte Art von Mord? Über die neueren literarischen Vaterbilder. In: Süddeutsche Zeitung 11. 4. 1981.
Adolf Schwarzenberg: Vaterspuren. In: Condor (Santiago / Chile) August 1982.
Albert von Schirnding: Patre absente. Eine Generation schreibt sich frei. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. H. 384 (1980) S. 489-497.
Uwe Naumann: Erinnerungen, in die Zukunft gerichtet. Tendenzen literarischer Faschismuskritik 1979/80. In: Sammlung. Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst. Bd. 3 (1980) S. 117-133.
Hans J. Fröhlich: Väter und Söhne. In: Jahresring. Literatur und Kunst der Gegenwart. Bd. 80-81 (1980) S. 205-221.
Ludwig Fels: Das war das Ende eines Ariers. Die Erzählung ,Vaterspuren‘ von Sigfrid Gauch - Unerbittliche Erforschung. In: Andreas Werner (Hrsg.): Fischer Almanach der Literaturkritik 1979. Frankfurt 1980. S. 75 f. (Fischer Taschenbuch 6452)
Michael Schneider: Väter und Söhne, posthum. Das beschädigte Verhältnis zweier Generationen. In: Michael Schneider: Den Kopf verkehrt aufgesetzt oder Die melancholische Linke. Darmstadt 1981. S. 8-64. (Sammlung Luchterhand 324)
Helmut Kreuzer: Neue Subjektivität. Zur Literatur der siebziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. In: Manfred Durzak (Hrsg.): Deutsche Gegenwartsliteratur. Ausgangspositionen und aktuelle Entwicklungen. Stuttgart 1981. S. 77-106.
Hanna Wolff: Neuer Wein - Alte Schläuche. Das Identitätsproblem des Christentums im Lichte der Tiefenpsychologie. Stuttgart 1981. S. 183 ff.
Karl Ermert / Brigitte Striegnitz (Hrsg.): Deutsche Väter. Über das Vaterbild in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Loccumer Protokolle Bd. 6. 1981. Evangelische Akademie Loccum. Rehburg-Loccum 1981.
Volker Hage: Die Wiederkehr des Erzählers. Neue deutsche Literatur der siebziger Jahre. Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1982. S. 19. (Ullstein Sachbuch 34083)
Reinhold Grimm: Elternspuren, Kindheitsmuster. Lebensdarstellung in der jüngsten deutschsprachigen Prosa. In: Rheinhold Grimm / Jost Hermand (Hrsg.): Vom Anderen und vom Selbst. Beiträge zu Fragen der Biographie und Autobiographie. Königstein 1982. S. 167-182.
Kristina Johanna Zapp: Wenn Kindheiten zu Wort kommen. Erschließung autobiographischer Quellen für religionspädagogische Erkenntnis. Dissertation. Landau 1990. passim. (Landauer Schriften zur Theologie und Religionspädagogik Bd. 4)
Tiziana Galliano: Orme paterne. La Vaterliteratur sull‘ esempio del racconto ,Vaterspuren‘ di Sigfrid Gauch. Tesi di laurea il corso in lingua e letteratura tedesca. Universita degli studi di Torino. Facolta di lettere e filosofia. Turin 1991.
Michael Schneider: Fathers and Sons, Retrospectively: The Damaged Relationship Between Two Generations. In: New German Critique. vol. 31 (1984), S. 3 - 51, darin ,Sigfrid Gauch on his father‘ S. 21 - 23.
Jürgen Serke: Der Vater ist tot, es lebe der Vater. In: Der Stern Nr. 14, 27. 3. 1980.
zur amerikanischen Ausgabe „Traces Of My Father“
Sigfrid Gauch: Traces Of My Father. Translated from the German by William Radice and with a preface by Antony Copley. Northwestern University Press, Evanston, Illinois 2002. ISBN 0-8101-1890-4.
Hannah Moscovitch: East of Berlin. Tarragon Theatre. Toronto, Ontario, Kanada. (Theaterstück) Study Guide 2008. S. 12 ff.: The Sins of the Father:
Herman Gauch pursued a career as a medical doctor before joining the Nazi party in November 3, 1922. A member of Rudolf Hess‘ SA unit (a paramilitary wing of the Nazi party), he met Adolf Hitler the following month and was entranced. In 1934, he published New Foundations for Racial Research, attracting the attention of Walther Darré, Director of the Nazi‘s Race and Resettlement Office, and directly contributing to the race theories thar would eventually justify the morder of millions. Shortly after his father‘s death, Sigfrid Gauch wrote the first of what was to become a genre unto itself in modern German literature. Traces of My Father, published in 1979, is a poignant, candid and splendidly complex memoir exploring Sigfrid‘s often tender, often troubled relationship with his father - an Ex-Nazi, the man who was referred to at Adolf Eichmann‘s trial as a ,desk murderer‘. Whether his father was in fact a powerful racial theorist or simply an aspirant is never clear in Sigfrid‘s book. What is clear, however, is that his father‘s past as a war criminal and fanatical ideologue leaves Sigfrid feeling ,guilty by proxy‘ for his father‘s actions, and psychological scars so deep they not only impact his children, but his grandchildren too. Sigfrid Gauch‘s story is not unique among his generation. However, although much had been written of the psychological effects of the Holocaust on its survivors‘ children, until very recently, little was discussed of the effects of the Holocaust on its perpretators‘ children. Gerard Posner explains that ,in postwar Germany, with its economic miracle of the 1950s and 1960s, Nazis were a dark, past shadow better forgotten. Children like Rolf Mengele (son of the infamous Dr. Josef Mengele) had to cope with their father‘s deeds on their own, without the help of German society.‘ In the last twenty years, that trend has gradually shifted through the work of Sigfrid Gauch, Gitta Serenyi, Gerard Posner and Israeli psychologist Dan Bar-On, who inspired the formation of a self-help group for the children of Nazi war criminals (Copley in Gauch).
„I recall the long solo car journeys when I would think about my father: the Oberfeldarzt (Retired), the Reichsamtsleiter in the SS, the adjutant to Heinrich Himmler, the author of New Foundations for Racial Research, the man described by the chief prosecutor in the Eichmann trial as a desk murderer, the man I knew: my father.“
In 1979 Sigfrid Gauch published the groundbreaking Vaterspuren (Traces of My Father), the first of the so-called father books about the relationships of postwar Germans with their parents. It inspired a new genre in German literature. Ever since, such writings have greatly contributed to Germany's ongoing struggle to overcome its past.
This autobiographical novel is Gauch's attempt to come to terms with his father, Herman Gauch-a physician who had joined the National Socialists in the 1920s, who wrote six books of "race research" as a member of the SS, and who to his dying day remained an unrepentant Nazi. The story alternates between the images of the elder Gauch's death and burial and the author's memories of childhood and adolescence. Unlike many of the father books, however, Traces of My Father is less a political attack than a personal journey. Gauch, though honest about his father's monstrous actions and ideas, does not shirk their shared emotional bond. The result is a poignant attempt by a son to relive his father's notorious life and in so doing free himself from the man's influence.
First published in Germany in 1979, Gauch's memoir of his relationship with his Nazi father was the first of many post-World War II accounts by the children of war criminals. He tells it quietly, in clear, short vignettes that mix memory with his present-tense reflections. As he arranges his father's funeral, Gauch remembers a caring dad and a frail old man. The telling is part of the meaning; it's as if he can't bear to confront what the reader wants to know--what did his dad do for the Nazis? Every now and then, a fact erupts. The honorable physician was once a "desk murderer" whose eugenic theories supported the slaughter of the Jews. He admired Hitler. He was Himmler's personal physician. Until his death he was an unrepentant anti-Semite who denied the Holocaust ever happened. Is the son guilty by proxy? Could he love his father but be horrified by what he did? There's neither self-righteousness nor resolution. What this wrenching story shows and tells is that the son can never free himself of his father's guilt.
Hazel Rochman